Wahlprüfsteine Bundestagswahl 2021

Das deutsche Nationalkomitee Blue Shield e.V. (Blue Shield Deutschland) hat zusammen mit seinen konstituierenden Mitgliedern Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl 2021 entwickelt und den Parteien, die aktuell im Bundestag vertreten sind, zur Beantwortung zukommen lassen.

Aufgrund von geänderten Regeln gibt es seit diesem Jahr einheitliche Rahmenbedingungen zu Wahlprüfsteinen, weswegen nur insgesamt 8 Kernfragen an die Parteien gestellt werden konnten. Die Abgabe der Fragen erfolgte über dafür eingerichtete Formulare auf den jeweiligen Webseiten der einzelnen Parteien.


Antworten der politischen Parteien in der Reihenfolge ihres Eintreffens:

Die Wahlprüfsteine inklusive Anschreiben können hier als PDF heruntergeladen werden:

Blue Shield Deutschland, mit seinem Kernengagement im Kulturgutschutz sowohl auf nationaler wie auch internationaler Ebene, hat sich dabei auf drei Teilbereiche konzentriert und dazu entsprechende Rahmentexte entworfen, die im Folgenden zur Übersicht aufgeführt werden:


Wahlprüfstein I

Kulturgutschutz als Teil des Bevölkerungsschutzes

Der Schutz von (national bedeutsamen / symbolträchtigen) Kulturgütern wird in mehreren strategischen Dokumenten berücksichtigt, z. B. in der Nationalen Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen (KRITIS-Strategie, 2009) und der Konzeption Zivile Verteidigung (2016). Trotz dieser formalen Berücksichtigung wurden jedoch keine ausreichenden Strukturen entwickelt, die den Kulturgutschutz in den breiteren Bevölkerungsschutz einbetten und effektive Schutzmechanismen für Kulturgut in Krisen bereitstellen. Bis heute gibt es, mit Ausnahme der Bundessicherungsverfilmung und der Einrichtung des zentralen Bergungsortes im Oberrieder Barbarastollen (in der Verantwortung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe), keinen zwischen Bund und Ländern abgestimmten Handlungsansatz oder eine Koordinierungsstelle für den proaktiven Schutz und die Bergung von Kulturgut in Krisenszenarien sowie im Katastrophen- und Verteidigungsfall.

Auf Bundesebene können vier Ministerien mit Teilzuständigkeiten ausgemacht werden. In Verbindung mit der Kulturhoheit der Länder führt dies in der Praxis zu einer Fragmentierung der Zuständigkeiten. Es mangelt an einer zentralen Stelle für den Kulturgutschutz, die die derzeitigen strukturellen Hemmnisse überbrückt und die Politik und Öffentlichkeit regelmäßig über Fortschritte, Erfolge und Rückschläge unterrichtet, Handlungsbedarf aufzeigt und Empfehlungen für künftige Maßnahmen und Weiterentwicklungen unterbreitet. Dies ist besonders problematisch bei Großschadensereignissen und Katastrophen, die sich länderübergreifend erstrecken oder auswirken können. Nicht zuletzt findet der Kulturgutschutz keinen oder nur unzureichenden Niederschlag in den Ausbildungsinhalten und Dienstvorschriften relevanter Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, insbesondere bei den Feuerwehren oder dem Technischen Hilfswerk.

Dieser Lücke im Kulturgutschutz begegnen zumindest teilweise die Notfallverbünde, die sich in mehr als 50 Städten und Regionen gegründet haben. In den Notfallverbünden haben sich Kulturgut bewahrende Einrichtungen zusammengeschlossen, um durch gemeinsame Übungen und die Vorhaltung einer Notfallausstattung fachlich spezialisierte Kapazitäten für die Bewältigung potentieller Schadensereignisse aufzubauen. Sie kooperieren mit örtlichen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben und sind vereinzelt in Krisenstäben vertreten. Damit leisten die Notfallverbünde einen essentiellen Beitrag zum Kulturgutschutz auf kommunaler Ebene. Mit Ausnahme einer jährlichen Konferenz gibt es jedoch gegenwärtig auf bundesdeutscher und mehrheitlich auch auf Landesebene kaum Unterstützung zur inhaltlichen Vernetzung und der Förderung weiterer Gründungsinitiativen.

Fragen:

I.1. Der Kulturgutschutz liegt in der Zuständigkeit der Länder; eine koordinierende Stelle existiert nicht, was zu heterogener und teils mangelhafter Umsetzung führt. Wie plant Ihre Partei, den Kulturgutschutz länderübergreifend zu stärken und deutschlandweit einheitlichere Standards zu etablieren?

I.2. Wird Ihre Partei im Benehmen mit den Ländern und Kommunen eine gesetzliche Regelung des Kulturgutschutzes zur Risikominimierung von Schäden und zur Optimierung von Schutzmaßnahmen für Not- und Katastrophenfälle erarbeiten?

I.3. Die zumeist auf kommunaler Ebene organisierten Notfallverbünde bündeln fachliche Kapazitäten für den Kulturgutschutz im Krisenfall. Wie sollen die Notfallverbünde nach Ansicht Ihrer Partei gefördert werden? (finanziell, logistisch, organisatorisch, beratend, gesetzgebend etc.)


Wahlprüfstein II

Militärischer Kulturgutschutz

Im Jahr 1954 wurde die "Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten" beschlossen. Deutschland ratifizierte diese im Jahr 1967 mit dem "Gesetz zu der Konvention vom 14. Mai 1954 zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten". Im Jahr 1999 folgte das Zweite Protokoll zur Konvention, um Nachbesserungen aufgrund der damals aktuellen Entwicklung und Auslegung der Konvention vorzunehmen.

Besondere Bedeutung für das Bundesministerium der Verteidigung und die Bundeswehr hat vor allem Artikel 7. der Haager Konvention von 1954 "Militärische Maßnahmen", die laut dem Bundesgesetz von 1967 von Seiten des Bundesministers der Verteidigung umzusetzen ist. Artikel 7.1 der Haager Konvention von 1954 wurde aus der Sicht von Blue Shield Deutschland nur ungenügend abgehandelt (BMVG). Es fehlen doch explizite disziplinarrechtliche Maßnahmen bei Verstößen dagegen. Auch findet das Thema keine ausreichende Berücksichtigung in der Einsatzvorbereitung und Ausbildung der Streitkräfte.

Aktuell wird Artikel 7.2 der Haager Konvention von 1954 von Seiten des Bundesministeriums der Verteidigung lediglich aus juristischer Sicht abgehandelt. Explizit zuständige Stellen, die gemäß der Konvention gefordert werden und den Einsatzkräften in Kulturgutschutzbelangen zur Seite stehen sollen oder in diesem Zusammenhang mit zivilen Behörden (z.B. im Einsatz - ob im In- oder Ausland) zusammenarbeiten, fehlen bisher.

Seit dem Protokoll von 1999 gibt es neue Rahmenbedingungen, die indirekt eine Beteiligung von Kulturwissenschaftlern dringend erforderlich machen. Artikel 7 des zweiten Protokolls von 1999 fordert, dass bei einem militärischen Angriff sichergestellt werden muss, dass Ziele kein Kulturgut darstellen. Dabei muss es sich zwangsläufig um Kulturwissenschaftler, die gemäß Artikel 7.2 der Haager Konvention von 1954 die Respektierung des Kulturgutes im Rahmen von Einsätzen überwachen, mit zivilen Behörden zusammenarbeiten und damit das Kulturgut vor Ort identifizieren können. Artikel 8 des zweiten Protokolls sieht sogar eine notwendige Sicherstellung von Kulturgut, durch Konfliktparteien vor, wozu es ausschließlich kulturwissenschaftlich ausgebildetes Personal braucht, um das Kulturgut zu betreuen.

Andere Nationen (Beispiele aus Österreich, Frankreich, Großbritannien und den Vereinigte Staaten) und die NATO (NATO und NATO 2,  und CIMIC) stellen sich hier bereits sehr viel breiter auf und setzten die Konvention in diesen Punkten konsequent um. Auch die UNESCO unterstützt die aktuell laufenden internationalen Entwicklungen. Die Bundesrepublik Deutschland scheint dem selbstgesteckten Anspruch zur Einhaltung der Haager Konvention aktuell noch nicht ausreichend gerecht zu werden.

Fragen:

II.1 Wie ist die Position Ihrer Partei in Bezug auf den militärischen Kulturgutschutz gemäß Haager Konvention von 1954 und ihren Zusatzprotokollen und wie bewertet Ihre Partei den aktuellen Stand der Umsetzung des militärischen Kulturgutschutzes im Bundesministerium der Verteidigung und der Bundeswehr?

II.2 Wie wird sich Ihre Partei zukünftig für die bessere Verbreitung des Wortlautes der Haager Konvention von 1954 und der Schaffung von Dienststellen für den militärischen Kulturgutschutz in den Streitkräften gemäß Artikels 7 der Haager Konvention und des Bundesgesetzes zu dieser von 1967 §4 einsetzen?


Wahlprüfstein III

Auswärtige Politik & Illegaler Handel mit Kulturgut

Die Bundesrepublik Deutschland hat sich als Unterzeichnerstaat der wesentlichen internationalen Abkommen dem Schutz und der Erhaltung von international bedeutsamem Kulturerbe verpflichtet. Sie engagiert sich international für den Kulturerhalt durch die Förderung der Sicherung und Restaurierung von Kulturerbestätten. Die Förderung wird in diesem Bereich sowohl durch deutsche Organisationen realisiert, als auch durch die Unterstützung internationaler Organisationen wie der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) und der Internationalen Studienzentrale für die Erhaltung und Restaurierung von Kulturgut (ICCROM). Damit leistet die Bundesregierung nicht nur einen direkten Beitrag zur Erhaltung von Kulturgütern selbst, sondern fördert die Präsenz deutscher Experten in internationalen fachlichen Diskursen und ermöglicht gegenseitige Lern- und Austauschprozesse in einem multilateralen Umfeld. In Ergänzung zur aktiven Förderung des Kulturerhalts und des Kulturgutschutzes bedarf es allerdings weiterhin deren konsequenter Berücksichtigung in der Entwicklung strategischer Arbeitsansätze für die Auswärtige Politik der Bundesrepublik Deutschland. Im ersten Entwurf des Weißbuchs Multilateralismus der Bundesregierung, der am 19. Mai 2021 durch das Auswärtige Amt vorgelegt wurde, ist "die Bewahrung [...] des menschlichen Kulturerbes" eindeutig benannt. In den 2017 beschlossenen Leitlinien "Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern" findet der Kulturgutschutz dagegen keine explizite Erwähnung, obwohl die gezielte Zerstörung von Kulturgütern in zahlreichen bewaffneten Konflikten nachweislich in engem Zusammenhang mit der Verfolgung und Tötung von Menschen steht.

Darüber hinaus gehört der illegale Handel mit Kulturgut zu den stärksten illegalen globalen Märkten. Raubgrabungen und Plünderungen von Kulturgut sind oft ein Nebeneffekt von bewaffneten Konflikten oder Umweltkatastrophen, bei denen die Bevölkerung einen massiven Verlust ihres kulturellen Erbes erleidet. Wirtschaftliche Not, kombiniert mit den hohen Marktpreisen und der Nachfrage nach Kulturgütern auf dem Kunstmarkt, drängt Menschen in Notlage oft dazu, auf Plünderungen und den Verkauf gestohlener Objekte zurückzugreifen. Plünderungen können jedoch auch von ausgeklügelten Netzwerken krimineller Organisationen durchgeführt werden, die das Fehlen von Strafverfolgung und den fehlenden Schutz von Kulturgütern ausnutzen. Diese Netzwerke nutzen oft Schwachstellen bei Grenzkontrollen und die Differenzen unterschiedlicher nationaler Rechtssysteme aus. Durch den Erwerb von illegalem Kulturgut tragen private Sammler und Kunsthändler - möglicherweise unwissentlich - zur organisierten Kriminalität bei. Als Teil der Maßnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus und organisiertem Verbrechen beschloss der Europarat 2017 das "Übereinkommen über Straftaten im Zusammenhang mit Kulturgut". Es erklärt eine Reihe von Handlungen zu Straftatbeständen, darunter den Diebstahl, Raubgrabungen, die Ein- und Ausfuhr, das illegale Erwerben und Inverkehrbringen von Kulturgut sowie die Zerstörung oder Beschädigung von Kulturgut.

Deutschland hat seit 2016 ein neues Kulturgutschutzgesetz, das u.a. die "Inverkehrbringung" von illegal eingeführten Kulturgütern unbekannter Herkunft unter Strafe stellt. Trotzdem werden immer noch tausende archäologische Kulturgüter allein aus dem östlichen Mittelmeerraum in Deutschland zum Verkauf angeboten, von denen lediglich ein sehr kleiner Anteil (wissenschaftlich fundierte Zahlen aus den Jahren 2015 - 2018 des ILLICID-Berichtes berechnen einen Anteil von 2,1 %) anhand der öffentlich zugänglichen Informationen als legal eingestuft werden kann. Aufgrund lockerer Bestimmungen und Kontrollen ist es immer noch möglich, geraubten Kulturgütern eine deutsche Provenienz zuzulegen. Bedauerlicherweise ist festzustellen, dass der deutsche Gesetzgeber in 50 Jahren keinen wirksamen Beitrag "zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut" geleistet hat.

Fragen:

III.1 Die Zerstörung von Kulturgütern während bewaffneter Konflikte steht oftmals in engem Zusammenhang mit der Verfolgung oder Ermordung ihrer Trägergemeinschaften. Wie wird sich Ihre Partei in Zukunft für den Schutz von Kulturgütern während bewaffneter Konflikte einsetzen?

III.2. Der Europarat beschloss 2017 das "Übereinkommen über Straftaten im Zusammenhang mit Kulturgut", um Standards bei Strafrechtsvorschriften in Bezug auf die Zerstörung, Plünderung und den illegalen Handel mit Kulturgut zu schaffen. Wird sich Ihre Partei für die Ratifizierung durch die BRD einsetzen?

III.3. Raubgrabungen und Plünderungen von Kulturgut sind häufiger Nebeneffekt bewaffneter Konflikte oder Katastrophen, die zu massiven Verlusten an Kulturerbe führen. Wie wird sich Ihre Partei für wirksamere Kontrollen des Kulturguthandels in Deutschland einsetzen?